Lyrik


Trilogie für Frieden


13. bis 15. Februar 1945
Dresden

Höllenfeuer fällt vom Himmel
Inferno Tag und Nacht
Abertausende Tonnen
Sächsischer Barock bersten
Die Kuppel der Frauenkirche
Begräbt verkokelte Leichen

Flüchtlinge weggefegt
Vom Feuersturm
In der Elbe treiben
Menschenreste
namenlos
Kinderwagen
Leiterwagen
Die keine Hand mehr führt

Menschen haben die Steine
Gesammelt und zusammengefügt
Und eine neue Kirche gebaut
Ein toter Mensch fügt sich
In kein Neues



11. September 2001
New York

Es bersten Türme
Himmelhochragend
Schmelzen Stahlträger
Erstarrte Fensterkreuze
Aus denen Menschen
Stürzen DNS Kette
Entschlüsselt aus Staub
Der einen Namen hat

Menschen haben die Trümmer
Beseitigt Pläne geschmiedet
Und neue Türme gebaut
Aus DNS Ketten lassen sich
Nicht neue Menschen schmieden



Januar 2013
Timbuktu

Heilige Schriften verbrennen
In Timbutku Notenschlüssel
Verbiegen Noten verrieseln
Im Sand der Tanz erstirbt
Zu Fratzen
Der Himmel bleibt Barbaren
Verschlossen im Wüstensturm
Sehen sie eine Fata Morgana
Im Paradies tragen die Siebzig
Jungfrauen den Judenstern

Menschen haben die Bücher
versteckt und zusammengefügt
Und eine neue Bibliothek gebaut
Die Jungfrauen konnten sie
Nicht retten…




Neuerscheinung:








winterliebe

schneetreiben an der spree
unsere fußstapfen sind leicht zu enträtseln
wir stehen ineinander
flocken sitzen auf deinen wimpern
und lachen über deine küsse
die wärme deiner augen treibt
gänseblümchen auf die wiese
wir stehen und zählen
du liebst mich ich lieb dich nicht
er sie es liebt
über den gipfeln ist keine ruh
möwen scheißen auf schlafende boote
wie junge hunde toben wir
kinder schliddern und
treiben flügel in den schnee
flieg engel flieg
eine sekunde glück eine zweite
dann ist der schnee geschmolzen
im mai lieben alle
und viele bringen sich um


Die Jury der Dritten Berner Bücherwochen zeichnet das Gedicht
winterliebe
von
Jenny Schon
aus als bestes Gedicht der Bücherwochen-Anthologie
Winterreise.
Der Auorin Jenny Schon wird der Sonderpreis Lyrik verliehen.





Böhmische Polka



"...Ich habe niemals zuvor Gedichte geschrieben, jahrzehntelang war mein Metier die nüchterne Prosa wissenschaftlicher Texte. (Daß ich Gedichte schrieb) ist Ausdruck der schieren Notwendigkeit – und zwar im Wortsinn um Not zu wenden, der Notwendigkeit also, Klarheit zu gewinnen über die Fundamente meiner Existenz, die mir so lange ich denken konnte Rätsel aufgegeben hatte. Immer war da ein Rest an Erfahrung und Empfindung, den ich mir nicht erklären konnte und der sich nicht als Resultat aus den vorangegangenen eigenen Lebensphasen ableiten ließ. Woher stammte diese innere Unruhe dann, die mich umtrieb, seit ich mich erinnern konnte? Wieso habe ich mich nirgends und überall zugleich heimisch gefühlt? Als Jugendlicher fand ich in dem Satz „Ich bin weniger wert“ die treffende Beschreibung für das Empfinden meiner selbst. So habe ich es mit größtmöglicher innerer Zustimmung in mein Tagebuch eingetragen. Warum? Es gab doch eigentlich gar keinen Grund dafür. Und dann war da noch dieses Gefühl, nicht dazu zu gehören oder am Rand zu stehen, obwohl ich einen großen Freundeskreis hatte und beliebt war. Rein äußerlich betrachtet gab mein Leben gar keinen Anlass für ein derart defizitäres Selbstbild. Wieso habe ich mich trotzdem so gesehen? Spät, ich hatte mein fünfundvierzigstes Lebensjahr bereits überschritten, begann ich zu sehen, dass mein Leben Teil einer größeren Geschichte ist und noch anderen, tieferen Einflüssen ausgesetzt als allein denjenigen, die von meiner Geburt an auf mich eingewirkt haben... Die Gesellschaft unterstützt solche Erkenntnisprozesse allerdings nicht, ihr ist das Schicksal der Vertrieben und Entwurzelten suspekt, sie mag von ihrem Elend nichts hören. Die Hoffnung war groß, dass sich das Thema mit der Erlebnisgeneration auf Nimmerwiedersehen von der Bühne verabschiedet. Aber sie wurde enttäuscht. Die Katastrophe hat nicht nur etwas mit denen gemacht, die sie selbst erlitten haben. Sie betrifft auch uns Kinder und Kindeskinder unmittelbar und existenziell. Die Suche nach einer Sprache, die das Elend auszudrücken vermag, das die Vertreibungen noch in den Seelen von uns Nachgeborenen anrichtet, gleicht einer Expedition in ein unbekanntes, wegloses Land. Es gab lange keine Vorbilder oder Modelle, an denen ich mich hätte orientierten können. Bis ich den Gedichtband von Jenny Schon entdeckte, Böhmische Polka – Ceska Polka. Dort fand ich diese Sprache. Ihre Gedichte und Kurztexte sind Wegzeichen, Hinweise und Markierungen, die die ungreifbare Weite jener inneren Terra incognita strukturieren, klären und damit begehbar machen. Jenny Schon ist eine Pionierin des Unbekannten, eine Entdeckerin. Und sie ist eine Führerin in jenen inneren Regionen, aus denen immer noch so viel Leid erwächst, weil in ihnen die Monstrosität der Vertreibung weiter wütet. Sie hat Wege gebahnt und mich dadurch inspiriert, nach den eigenen zu suchen. Achim"






Buchpremiere
"Wie Männer mich lehrten die Bombe zu halten und ich sie fallen ließ"

Lesung einen Tag nach dem Frauentag
Gedichte und Musik gegen Krieg und Krieg gegen Frauen
Gedichte Jenny Schon
Gitarre Norbert Fehlmann
Geige Wanja, 7 Jahre

9.3.2010, 19 Uhr
Berlin-Wilmersdorf, Wilhelmsaue 126
Schöler Schlößchen





Neuerscheinung:








Jenny Schon
Designermuschi

Zum Internationalen Tag der Frau


Der Mann am Klavier
Mit seinem schalen Bier
Ist eine alte Metapher
Heute schiebt
selbstverliebt
Jedem Gaffer
Angeboten eine Dame
Für Unterwäsche Reklame
*
Auf der Klaviatur ihrer Brüste
Klimpern wüste
Rhapsodien in bleu
Hilfe die eine rutscht
Schon ist die Symmetrie futsch
Sie muß aufs Kanapee
Das Silikon richten
Um nicht auf das Honorar zu verzichten
*
Beim nächsten Auftritt
Irritiert das Design im Schritt
Gemäß der Mode
Was oben zu viel
Ist hier unten im Kiel
Marode
Es muß weg
Ritscheratsche ein weißer Fleck
*
Sie schmiegt sich an den Flügel
Streichelt den gestylten Hügel
Spiegelblank glänzt ihr Kinn
Mit eleganter Kaskade
Sitzt sie auf die Parade
Der Tastatur bringt jetzt Sinn
Denn eins wird Corpus und Leib
Oh gebenedeites Weib
*

Nun spielt er Bolero
Sie tanzt mit ihrem Hero
Flamenco
Bei jedem Dreh
Steht er auf ihrem Zeh
Der Tanga fliegt vom Po
Begeistert klatscht das Publikum
Doch sie ruft Silentium
*
Und auch das Klavier schweigt
Als sie ihre Muschi zeigt
Von vorn und inmitten
Da kreuzt auf dem Steg
Ein 40-Pfund-Model ihren Weg
Du bist ja auch beschnitten
Ach mein Silikon
Ist schon lange auf und davon
*
Den G-Punkt verfeinern
Klitoris verkleinern
Das fehlende Hymen kein Problem
Der Chirurg holt das Fett aus den Hüften
Weiß manches geschickt zu liften
Die Unschuld ist schön
Wieder hergerichtet
Auf die erste Nacht der Macho nicht verzichtet
*
Ihr Frauen am Klavier
Dahinter und dafür
Habt ihr sie nicht alle
Um Würde gestritten
Und nicht seit Jahrhunderten gelitten
Damit ihr wieder tapst in die Falle
Des Wahns diesmal der Designer
Übrigens:
so verunstaltet liebt euch eh keiner





Auszug aus dem Gedichtband "Böhmische Polka/Cesky Polka", dt.-cz., im Geest Verlag, Vechta, 2005

Jenny Schon
Die alten Männer

Einem tschechischen Jagdflieger gewidmet, den ich im Zug kennenlernte


Die Unduldsamkeit
Der alten Männer
Macht die Zeit
Sie läuft ihnen fort
Wie ihr Einfluß
Ihre Worte
Nennen sie Wahrheit
Und lassen keine
Andere zu
Schaun Sie das ist
So und nicht anders
Ist ihre Weisheit
Die Bomben auf
Dresden o.k.
Und die Kinder
Frage ich die Frauen
Und Alten und
Die Flüchtlinge
Unzählig
Ich bitte Sie
Wie hätte der Krieg
beendet
Werden sollen
Wir haben daraus
Gelernt sage ich
Und welche Möglichkeiten
Gibt es für den Irak
Gar keine
Saddam ist wie
Hitler
Und die Kinder
Frage ich die Frauen
Und Alten und
Die Flüchtlinge
Unzählig
Der alte Mann
Nimmt ein Buch
Über Jagdflieger
Im Zweiten Weltkrieg
Er muß seinen
Vortrag vorbereiten
Bald wird er
Keine Zeit mehr haben
Vorträge zu halten...
Ich aber frage
Weiter nach den
Kindern, den Frauen
Und Alten
Den Flüchtlingen
unzählig





Veröffentlicht in: Die Brücke 147, 1/2008, Saarbrücken
11/9
oder
Eine deutsche Zählung


Novizinnen
Zum 9.11.1938

Für meine Mutter Anna Schwantner -
geboren 4.4.1922 in Trautenau/Böhmen


Hörst du
Annele die
Deutschen kommen
Laß uns gucken gehen

Was gibt's denn
Louisa
Zu gucken
Wenn Deutsche kommen

Sie kommen
Mit Glanz
Sie kommen mit
Licht Annele
Laß uns das sehn

Aber dunkel ist es schon
Louisa und wir sind
Jung so viele
Männer zu
Nachtschlafender
Zeit

Das sind Deutsche
Annele Deutsche
Wie wir
Die werden uns
Nichts tun

Was ist das
Louisa
Das Feuerbrausen
Das gleißende Licht
Der Rauch frißt
Meine Stimme

Dann schweige auch
Du Annele und schau
In das Feuer
Das Licht in der
Novembernacht

Oh Louisa
Da brennen Menschen
Die Synagoge brennt

Annele halte mich fest
Auch ich frier
Bei all diesem Lodern

Verschwindet ihr
Mädchen das ist nichts
Für Euch
Ein Bewaffneter schiebt
Die Weinenden beiseite

Geht heim und
Wartet bis ihr
Deutsche Mütter seid
Dann werdet ihr Dank sagen

An einem späteren
Novembertag fällt eine
Bombe
Die für Dresden bestimmt war
Auf Trautenau




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